Floriks Fantastereien

Erst reden, dann würfeln

Ich spiele gern Rollenspiele mit wenigen Regeln. Allerdings glaube ich, dass diese eine bestimmte Spielkultur erfordern. In Ermangelung eines festen Regelkorsetts ist es wichtig, den Ausgang von Würfen vorab zu definieren. Spielende, die von traditionellen Systemen kommen, muss ich da manchmal ein wenig einbremsen.

Nehmen wir zum Beispiel an, eine Figur will von einer Brücke auf das Dach einer fahrenden Kutsche hinunterspringen. Die Spielerin greift schon zu den Würfeln. "Halt", sage ich. "Lass uns erst über den möglichen Ausgang sprechen. Was genau willst du erreichen?"

"Ich dachte, ich kann dann durchs Fenster ins Innere klettern, die Lady mit dem Messer bedrohen und die Schriftstücke an mich nehmen."

"Aha", sage ich. "Ein guter Plan. Ich finde aber, das sind alles separate Aktionen. Das müssen wir erst einmal ausklammern. Wenn dir der Wurf gelingt, würdest du erst einmal nur auf dem Kutschdach landen und es schaffen, dich dort festzuhalten. Wenn es aber schiefgeht, würdest du hinter der Kutsche auf die Straße stürzen und 2W6 Schaden nehmen."

"Uh", sagt die Spielerin, "ich habe nur noch 6 Trefferpunkte. Vielleicht mache ich doch etwas anderes."

Warum besprecht ihr das alles vorher?

Eine solche Absprache ersetzt den umfangreichen Regelkorpus komplexerer Systeme:

Ist das nicht furchtbar meta?

Furchtbar? Das finde ich nicht.

Wir diskutieren über das Drehbuch unseres gemeinsamen Films. Ja, das ist eine Meta-Diskussion. Es kann zugleich auch in die Ebene der Spielmechanik gehen, wie im Fall der Trefferpunkte. Aber ich würde behaupten, die Spielenden erhalten so Informationen, die ihre Figuren immer hätten.

Ich kann mir nämlich als SL den Mund fusselig reden und die Kutsche und die Brücke und die Pferde und die herrschenden Windverhältnisse beschreiben, das Gefahrenpotenzial der Situation wäre der Spielerin immer noch nicht so deutlich wie ihrer Figur.

Wir nutzen andere Ebenen, die mechanische und die Meta-Ebene, als Abkürzungen.

Aber da geht doch die Überraschung verloren?

Das kann man wahrscheinlich so und so sehen. Das Spannende ist für mich der Ausgang des Wurfs. Für mich steigt die Spannung mit der Diskussion.

Außerdem: In einem komplexen System gibt eine Tabelle den Sturzschaden abhängig von der Höhe vor. Das kommt auch nicht überraschend, es sei denn, man hat die Werte in der Tabelle vergessen, was mir allerdings ständig passieren würde ...

Ist so eine Diskussion nicht umständlich und zeitintensiv?

Für mich nicht umständlicher und zeitintensiver, als Tabellen und Regeln in einem Buch nachzuschlagen. Und es macht mir mehr Spaß.

Was ist mit Teilerfolgen?

Wenn ich ein System mit Teilerfolgen spiele, definiere ich die Teilerfolge normalerweise nicht exakt vorher. Erfolg und Scheitern sind die beiden Extreme. Die Spielenden wissen, dass ein Teilerfolg oder Erfolg mit Komplikation irgendwo dazwischen liegen wird.

Es kann aber auch nicht schaden, Teilerfolge vorher zu definieren. Insbesondere helfen sie in bestimmten Fällen, die Vorstellung zu konkretisieren.

Zum Beispiel könnte ich bei der Kutschenszene sagen: "Also, auf dem Kutschendach landest du wirklich nur bei einer 10+ (voller Erfolg). Bei einer 7-9 kannst du dich an der Seitenwand festhalten, die das Gepäck umgibt, aber um dich aufs Dach zu ziehen, wirst du eine weitere Aktion benötigen. Außerdem wärst du eventuellen Angriffen natürlich fast wehrlos ausgesetzt, weil du die Umrandung nicht loslassen kannst."

Ich spiele PbtA. Muss ich harte und weiche Spielzüge vorher benennen?

Nein, ich würde als SL in einem PbtA-System meine möglichen Spielzüge nicht grundsätzlich vorher definieren. PbtA setzt bereits einen vergleichbaren Erwartungshorizont. Die Spielenden kennen die Spielzüge, bevor sie würfeln. Sie wissen je nach Text mehr oder weniger genau, was sie erwartet. Zugleich hat die SL nach dem Spielzug die Freiheit, zu reagieren, zu überraschen.

Die Ausnahme wären minimalistische PbtA-Spiele wie World of Dungeons oder Fast Fantasy. Hier ist es meiner Meinung nach wieder wichtig, vorher über möglich Ausgänge zu sprechen.

Außerdem haben alle PbtA-Systeme einen Auffang-Spielzug wie "Der Gefahr trotzen", für Fälle, in denen kein anderer Spielzug greift. Solche Auffang-Spielzüge sehen aber häufig (etwa Day Move und Night Move in Brindlewood Bay) eine vorherige Absprache ohnehin vor, sodass die Gruppe nur dem Text des Spielzugs folgen muss.

Was heißt das, die Spielenden sollen den Wurf interpretieren?

Als SL rede ich ohnehin immer zu viel ... Im obigen Beispiel kann die Spielerin nach einem Fehlschlag direkt 2W6 Schaden würfeln und erzählen, was mit ihrer Figur passiert, ohne dass ich noch einmal eingreifen muss. Notfalls erzählt sie den Tod ihrer Figur. Mir gefällt das, ich mag es, wenn die Spielenden selbst die Möglichkeit haben, zu erzählen, was mit ihren Figuren passiert. Sie sollen auch im Unglück für sie verantwortlich sein.

#storytelling