Hindernisse für alle
"Achtung: Mehr als zwei Hauptfiguren machen die Szene schwerfällig." Mit diesem Satz endete mein Artikel von vergangener Woche, wo es um das Problem ging, dass fünf Ermittlerinnen eine Verdächtige befragen.
Dort habe ich auch ein paar Lösungsansätze genannt: sich aufteilen, kleine Gruppen, Spielleitungsaufgaben teilweise auf die Gruppe verteilen. Aber ich glaube, das löst das Problem noch nicht. In meinen Runden kommt diese Art Lähmung trotzdem immer wieder vor. Ich muss noch tiefer gehen.
Was will ich denn eigentlich als SL, als Autor eines Abenteuers? Alle Figuren sollen etwas zu tun haben, sich einem Hindernis stellen können, das sie interessiert, das vielleicht ihren Fähigkeiten entspricht.
(Noch eigentlicher möchte ich, dass alle Spielenden gleichermaßen involviert und angesprochen sind. Aber das kann ich nicht erzwingen. Vielleicht hat der Mitspieler Kopfschmerzen, die Mitspielerin möchte nach einem harten Tag in der Arbeit im Hintergrund bleiben. ich beschränke mich also lieber darauf, ihren Figuren Angebote zu machen.)
Das Problem
Schauen wir uns weitere schwierige Situationen in Rollenspielen und Erzählrollenspielen an.
- "Teilt euch auf" ist ein guter Ratschlag, aber nicht immer praktikabel. Vielleicht hat die Spielleitung es geschafft, eine gruselige Atmosphäre aufzubauen. Die Spielenden haben tatsächlich etwas Angst – um ihre Figuren! Und darum wenden sie die Schildkrötentaktik an. Sie teilen sich nicht auf. Schon gar nicht in einem Dungeon.
- Bei Wildnisabenteuern ist der Ratschlag grundsätzlich nur eingeschränkt brauchbar. Ein Hex ist groß. Alle werden sich immer im gleichen Hex befinden. (Dafür haben Hexfelder mehr Interaktionsmöglichkeiten. Dazu komme ich noch.)
- "Das Problem" beschränkt sich keinesfalls auf Oldschool-Abenteuer oder -spiele. In SL-losen Storygames gibt es oft nur ein Hindernis pro Szene, das zu einem bestimmten Zeitpunkt im Raum steht und beseitigt werden muss. Vielleicht enthält das Spiel eine Prozedur, die dafür sorgt, dass jede:r einen Lösungsansatz nennt, aber für ein Hindernis braucht es am Ende immer nur eine Lösung. Die anderen zwei, drei Vorschläge werden schlicht nicht umgesetzt. Vielleicht erzähle ich dann als Spieler, was meine Figur zu der von der Gruppe gewählten Lösung beiträgt. Trotzdem komme ich mir ein wenig wie das dritte Laufrad für ein Unicycle vor. Und während die Lösungsszene einigermaßen dynamisch ausfällt, muss es unsere Beratung nicht gewesen sein.
- Selbst in Brindlewood Bay kommt es immer wieder vor, dass eine kleine Gruppe von nur drei Ermittlerinnen einen einzelnen Verdächtigen befragt, statt dass sich wenigstens ein Mordsmaderl davonstiehlt. Damit bin ich nicht glücklich.
Ich frage mich jetzt, ich frage mich immer wieder: Was kann die Spielleitung tun, wenn sich eine Gruppe nicht aufteilen will? Was kann die Spieleautorin tun, damit in ihrem Erzähl(rollen)spiel alle etwas beizutragen haben? Welche Angebote kann ich den Figuren machen?
Herumfragen
Der erste Schritt ist Herumfragen. In vielen taktischen Rollenspielen gibt es für Kämpfe die Phase "Statement of Intent", eingeleitet durch den Satz: "Was macht ihr diese Runde?"
Das Prinzip lässt sich auf Szenen ausweiten, die keine Kämpfe sind - und in der Tat propagieren das viele erzählerisch orientierte Rollenspiele. "Das ist also die Situation", sagt die Spielleitung. "Ich frage euch mal reihum: Was wollt ihr jetzt tun? Fangen wir bei dir an ..."
Bevor nicht alle geantwortet haben, wird keine der Aktionen ausgespielt.
Auch das ist nur ein erster Schritt. Wenn die Gruppe vor einer verschlossenen Tür steht, vor einem Rätsel, einer seltsamen Maschine, sind immer noch alle (drei, vier, fünf?) Figuren auf einen Punkt fixiert. Das Resultat: lahme Szene, gähnende Spieler:innen.
Eine Vielzahl an Hindernissen
Dieser Ansatz steht schon im Beitragstitel: Wie in einem Kampf kann es auch in friedlichen Szenen mehrere Hindernisse pro Szene geben.
Bei einem Erzählspiel, insbesondere SL-los, kann ich das als Autor berücksichtigen und Nadelöhr-Hindernisse vermeiden. (Oder aber, ich gehe den umgekehrten Weg und lasse pro Szene nur einen Teil der Spielenden als Problemlöser:innen agieren. Die anderen spielen die Opposition. Das ist der Ansatz von Salzburger Geheimnisse.)
Als Spielleitung kann ich diesen Ratschlag schon bei der Vorbereitung berücksichtigen und pro Örtlichkeit mehrere Hindernisse notieren. (In Lange Schatten in Bad Bründlholz enthält jeder Fall für jeden Ort eine Liste an möglichen Zusatz-Hindernissen.)
In einem Hexfeld geht das am leichtesten. Die Gruppe ist lose in einer freien Umgebung unterwegs. Es gibt vermutlich Späherinnen, Wächter, Lastenesel. Alle haben unterschiedliche Aufgaben, begegnen anderen Hindernissen.
Aber mehrere Hindernisse pro Raum sind von der Logik des Abenteuers her nicht immer leicht machbar. Viele Abenteuerorte, insbesondere einzelne Räume in Dungeons oder Spukhäusern, fokussieren nun mal auf ein Hindernis. Insbesondere in fertigen Szenarien, die ich vielleicht (aus vielen guten Gründen) spielen möchte, hat nicht jeder Raum mehrere Hindernisse.
Mein Tipp wäre hier, als Spielleitung wachsam zu bleiben und, wenn eine Szene stagniert, eine neue Gefahr einzuführen, die nur eine Figur wahrnimmt – eine, die gerade nicht in die Problemlösung eingebunden ist. Vielleicht nähert sich eine weitere Figur: eine Verdächtige in Brindlewood Bay oder ein Wandering Monster im D&D-Klon.
- "Xandra, du stehst ja etwas abseits, in der Nähe der Tür. Du hörst draußen Schritte. Was tust du?"
- "Yarumi, als dein Blick durch den Raum schweift, bemerkst du, dass die Pfütze in der Raummitte sich ausweitet. Irgendwie steigt hier der Wasserspiegel. Was tust du?"
- "Zelomon, hinter dem Bücherregal, neben dem du stehst, rasselt etwas. Klingt wie ein Räderwerk. Was tust du?"
Warum das noch keine Lösung ist
Das sind Ansätze, das sind gute Optionen. Aber keine dauerhafte Lösung. Denn sie setzen eine hellwache Spielleitung voraus.
Ich weiß nicht, wie das bei euch ist, aber ich bin als SL nicht immer hellwach. Ich haben tausend Dinge zu bedenken. Oft verpasse ich den Zeitpunkt, ein weiteres Hindernis auf die Gruppe zu werfen. Oder mir fällt gerade kein gutes Hindernis ein.
Ich habe, wenn ich Spieler war, auch noch keine SL getroffen, der es anders ging.
In einem SL-losen Erzählspiel kann die Situation sogar noch ärger sein. Wenn ich hier mit meinen Ideen nicht recht zu Wort komme, immer nur der Steigbügelhalter bin, gibt es niemanden, der mir ein privates Hindernis entgegenwirft.
Für den Augenblick weiß ich nichts Besseres. Erstens: nach Möglichkeit aufteilen und an mehreren Schauplätzen spielen. Zweitens herumfragen, bevor irgendeine Aktion passiert. Drittens möglichst immer mehrere offene Probleme haben. Dabei hilft es, Abenteuerorte nicht eng wie einen einzelnen Raum, sondern weit wie ein Hex zu beschreiben und einzuführen.
Aber ich suche weiter, für meine Gruppen, für meine Spiele.