Floriks Fantastereien

Nicht nur Zimmer, sondern Räume

Um allen Figuren einer Rollenspiel-Gruppe Angebote für eigene Szenen zu liefern, sie gleichermaßen anzusprechen und zu fordern, "hilft es, Abenteuerorte nicht eng wie einen einzelnen Raum, sondern weit wie ein Hexfeld zu beschreiben und einzuführen" - das war vergangene Woche einer der Ansätze, den ich bei meinem schriftlichen Nachdenken gefunden habe.

Diese Woche setze ich mich hin, um mir konkrete Orte dieser Art auszudenken. Als Gedankenübung und als nachgetragene Beispiele. Ich fange mit einem Dungeon an.

Wovon ich weg will

Bibliothek
An den Wänden stehen leere Regale. Eine große Eichentruhe in der Raummitte ist bis über den Rand hinaus gefüllt mit Pergamenten und Folianten. Ein fleischiger Troll mit spitzen Hörnern und einem Rubinring im rechten Ohr sitzt auf der Truhe und drückt und quetscht, um wenigstens eine der beiden Deckelschnallen zu schließen.

Das ist eine vielleicht gar nicht so langweilige Situation, aber es ist ein einzelner Raum. Wenn ich ihn als SL einer Gruppe vorlege, steht sie gemeinsam vor einem Problem. Und das wollte ich ja nicht.

Die Gold-Lösung

Eine Lösung, die insbesondere Trophy Gold (Codex-Fassung) vorschlägt, ist, mehrere Räumlichkeiten zu einem Ort der Handlung zusammenzufassen, einem "set", wörtlich übersetzt einer "Kulisse". (Mir persönlich liegen Romane näher als Filme, deswegen sage ich "Kapitel" dazu.)

Westflügel
Im westlichen Teil der unterirdischen Festung sind die Bodenplatten sauber verlegt, hier und da auch durch Mosaike verschönert. Viele der Türen stehen offen. Dahinter liegen leere Versammlungsräume und Büros. Nur auf den Tischen weisen noch vereinzelte Papiere und Gegenstände auf frühere Benutzung hin. Etwas weiter ist ein Geräusch zu hören: Durch einen Türspalt ist eine Bibliothek zu sehen, wo ein Troll Bücher in eine Kiste stopft. Aus einem anderen Raum dringt durchs Schlüsselloch ein grünlicher Lichtschein. Diese Tür ist allerdings verschlossen.

Diese Beschreibung erspart jede Menge Klein-Klein bei der Erkundung. Die Gruppe muss nicht erzählen, wie sie durch jedes Schlüsselloch guckt, an jeder Tür lauscht. Das wird vorausgesetzt.

Vor allem ist der Absatz aber eine Einladung an die Gruppe, sich aufzuteilen. Wenn die Spielleitung anschließend herumfragt, was die Figuren tun wollen, haben die Spielenden die Möglichkeit, in unterschiedliche Richtungen zu gehen.

Ohne Risiko? Zumindest mit vermindertem Risiko, meine ich. Indem ich als SL den ganzen Flügel als Einheit präsentiert habe, impliziere ich, dass Aufteilen möglich ist und nicht wie in RuneQuest (siehe Folge 1) als schlechte Taktik bestraft wird. Ich muss mich in der Folge natürlich daran halten: Fängt nun ein Teil meiner Gruppe einen Kampf mit dem Büchertroll an, sollte ich allen anderen Figuren die Möglichkeit geben, herbeizueilen und spätestens in der zweiten Kampfrunde einzugreifen.

Wenn die Gruppe beschließt, trotz mehrerer Optionen gemeinsam dem Troll gegenüberzutreten, oder sich vor der Tür mit dem Lichtschein versammelt, werde ich mich nicht widersetzen. Die Lage ist nun ganz anders als im ersten Beispiel. Es ist die Entscheidung aller Spielenden, sich auf den einen Raum, das eine Hindernis zu konzentrieren. Auch wenn ich es mir anders gewünscht hätte.

Rein und raus

Egal ob allein oder zusammen, die Gruppe wird sich aus der Übersicht früher oder später in Teilbereiche begeben: in einen einzelnen Raum, oder vielleicht sage ich besser Zimmer dazu. Denn Dungeon-Zimmer haben Wände, sie scheinen eine abgeschottete Einheit zu bilden. Das macht das Dungeon-Modell so einleuchtend. Die SL muss scheinbar nichts bedenken als das aktuelle Zimmer.

Diese Isolation ist es, aus der ich mich verabschieden will. Als SL nehme ich mir vor, an das große Ganze auch dann wieder zu erinnern, sobald die Gruppe das Zimmer verlässt. Was gibt es hier noch?

Oder aber, ich erkläre das Segment für erforscht, indem ich sage: "Im Westflügel habt ihr das Wichtigste gesehen. Wollt ihr noch länger bleiben oder weitergehen? Im Süden könnt ihr bereits eine subterrane Gartenanlage riechen, während im Osten das Tosen eines reißenden Flusses zu hören ist."

(Die Gartenanlage und der unterirdische Fluss wären hier ebenfalls von mir vorbereitete Örtlichkeiten, im gleichen Stil wie der Westflügel – "sets" im Sinne von Trophy Gold.)

Die Handlungsfreiheit bleibt erhalten. Ich deute nur an, dass ich als SL mehr Lust darauf hätte, jetzt in ein anderes Segment weiterzugehen. Das ist legitim: Als SL bin ich schließlich kein Ersatz für einen defekten Computer.

Ja, ich glaube, es ist gut, ein wenig den Blick zu weiten und nicht immer nur vom nächsten Gang und seinen diversen Türen zu reden. Gerade in einer beengten Umgebung.

Große Räume

Freilich kann es in meinem erzählerisch spielbaren Dungeon auch Örtlichkeiten geben, die große einzelne Räume sind. Säle, in denen das Aufteilen der Gruppe geradezu naheliegt. Das ergibt auch einen guten Kontrast insbesondere für den Ort, wo der Oberschurke nur darauf wartet, die Gruppe zu vernichten.

Tempel
Dieser Saal hat so ungeheure Ausmaße, dass die gegenüberliegende Wand im zitternden Fackelschein nur zu erahnen ist. In der Mitte steht eine runde Tafel mit vier Stühlen, die jeder wie ein Thron wirken. Auf allen vieren sitzen menschenähnliche, aber riesige Skelette. Das Licht kommt aus einem Dutzend Nischen: In jeder zweiten brennt eine Lampe, hinter der jeweils ein Wandteppich zu erkennen ist. In einer Nische steht außerdem die Statue eines Ebers, in einer anderen eine Art Altar, in einer dritten ein Scheiterhaufen und in der vierten ein Waffenregal mit Lanzen darauf. Die weiteren acht Nischen könnt ihr von der Tür aus nicht einsehen, zumal in sechs davon kein Licht brennt.

Ein noch komplexeres Beispiel für einen riesigen Raum mit zahlreichen Interaktionsmöglichkeiten und Gefahren liefert der obere Tempelbereich von The Croaking Fane für DCC.

Hexfelder und Städte

In einem Überlandabenteuer oder einer städtischen Umgebung ist es vermutlich einfacher als in unterirdischen Verliesen, raumübergreifende Örtlichkeit mit mehreren Hindernissen und interessanten Begegnungen zu schaffen. Trotzdem ein Beispiel:

Färbergasse
In den Auslagen dieser verwinkelten Straße sind Stoffe und Farben zu sehen. Ein Händler streitet mit einer Frau um den Preis für ein grünes Hemd. Die Frau hat einen Leibwächter dabei, kein Wunder, bei der Pracht ihres Schmucks. Ein Händler scheint auf Wandfarben und Lösungen spezialisiert. Er rührt auf offener Straße in einem stinkenden Kessel. Aus einer Hutmacherei kommt eben eine dunkel gekleidete Person. Während sie in alle Richtungen blickt, lässt sie eine goldene Münnze in ihren Beutel verschwinden.

Das sind drei Situationen und fünf Personen, mit denen die Gruppe interagieren könnte.

Schwer nur ohne Vorbereitung

Die Beispiele, die ich gefunden habe, sind nur skizziert, aber wirklich mehr als Zimmer. Sie sind Einladungen an die Gruppe, sich aufzuteilen und Hindernisse herauszupicken, die sie überwinden möchte.

Ich muss als SL nur daran denken, mir dazu vorab Notizen zu machen, gerade wenn ich fertige Szenarien konvertiere, denn solche Überblicke zu improvisieren fällt mir schwer – vermutlich, weil mir selbst der Überblick fehlt. Vor allem aber ist es immer viel bequemer und aus Gewohnheit auch naheliegender, isolierte Zimmer zu schildern.

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