Wozu brauchen wir Regeln?
Ich spiele diesen Sommer selten genug Erzähl- und Rollenspiele, um mir bisweilen diese ganz grundsätzlichen Fragen zu stellen, die überhaupt nur aus einer gewissen Distanz möglich sind. Die jüngste solche Frage: Wozu Regeln?
Ja, wozu, wenn wir uns doch auch um ein Lagerfeuer oder ums Raclette setzen und Geschichten erzählen können. Und wozu überhaupt die Frage? Darauf haben doch schon schlauere Menschen als ich Antworten gefunden. Aber die Erfahrung anderer ist immer nur eine Krücke. Gehen lernen muss jede:r selbst.
Ich bin kein Regelenthusiast. Ich glaube, ich brauche immer weniger Regeln. Meine Spiele fallen zusehends schmaler aus. Ich habe nur zwei Gründe gefunden, überhaupt Regeln zu verwenden.
Erstens: Die Möglichkeit des Scheiterns
Wir würfeln, um scheitern zu können. Um uns zu Fehlschlägen, zu negativen Ausgängen zu ermutigen. Um uns überraschen zu lassen.
Ironischerweise ist diese Antwort überhaupt nicht überraschend. Diesen Punkt hatte ich von jeher auf der Liste. Ich bin sicher, du hättest ihn auch genannt.
Ich bin allerdings im Lauf der Jahre gleichgültiger gegenüber Wahrscheinlichkeiten geworden. Früher fand ich es wahnsinnig wichtig, dass die Eigenschaften einer Figur einen Einfluss auf ihre Erfolgschancen haben. Heute würfle ich manchmal einfach 2W6 ohne Modifikator.
Zweitens: Der gemeinsame Horizont
Ich bin da heikel. Manche Erzählspiele provozieren diese "irren Geschichten", diese "durchgeknallten Situationen". Mir ist das oft zu irre und zu durchgeknallt. Ich wünsche mir eine gewisse Stringenz.
Wenn es in einer von mehreren Personen gemeinsam erzählten Geschichte zu wild durcheinander geht, ist das nach meinem Eindruck ein Zeichen, dass der Fokus nicht ganz stimmt, dass zu unterschiedliche Erwartungen aufeinander treffen, unterschiedliche Ideen und Stränge, die sich nicht gut verbinden.
Da fange ich an zu denken, das Spiel hat zu wenige Regeln. Denn Regeln schaffen einen Rahmen, schaffen Anknüpfungspunkte. Sie helfen uns, unsere unterschiedlichen Ideen miteinander in Relation zu setzen, einen Teppich zu knüpfen, der nicht nur eine Sammlung von Fäden in durchgeknallten Farben ist.
Ein Beispiel: Wenn wir Cthulhu Dark spielen, wissen wir, unsere Figuren werden die Kontrolle verlieren, in Richtung Wahnsinn abdriften. Was auch immer wir einbringen, wie es am Ende auch ausgeht: Es ist die Geschichte einer Abwärtsspirale.
Ganz wichtig dabei: Diese Erwartung setzen die Regeln, sie erzwingen diese Art Geschichte. Das ist viel nachhaltiger, als wenn es nur Teil der Ausschreibung, eine Absprache oder einer CATS-Prozedur zu Spielbeginn wäre. Wie oft habe ich als SL eingangs über Ton geredet, und nach einer Stunde war alles vergessen. (Wie gesagt, ich bin da heikel.)
Anderes Beispiel: Der wichtigste Teil eines minimalistischen Regelsystems ist für mich stets die Figurenerschaffung. Eine Auswahltabelle mit Berufen beispielsweise. Wenige Stichpunkte können kommunizieren, was für eine Geschichte wir erzählen werden. Sie legen, um das Bild noch einmal aufzugreifen, die Farbpalette unseres Teppichs fest.
Regeln bauen Welten. Regeln formen Geschichten.