Floriks Fantastereien

Das Problem mit den klassischen Klassen

Etwas, was mir bei D&D und Derivaten oft im Weg steht, sind die traditionellen Klassen. Ich finde Diebe, Magier, Krieger, auch Kleriker, Barden und Paladine, Waldläufer und Barbaren furchtbar abgenutzt. Es ist mühsam, ihnen noch originelle Aspekte abzugewinnen, einen Dreh zu finden. Selbst wenn ich aus dem Barbaren eine Barbarin mache.

Wenn ich als Spieler mit solchen Klassen (und auch mit den entsprechenden Playbooks in Dungeon World) konfrontiert bin, fehlt mir der entscheidende Funke Originalität, der meinen Kopf in Schwingung bringt, um die Geschichte weiterzuspinnen und mit einer Vorstellung dieser Figur ins Abenteuer zu starten. Und wenn ich SL bin, spüre ich oft, dass es Spielenden so geht.

Zugegeben: Für einen problemorientierten Spielstil ist das egal. Um OSR-Systeme nach OSR-Regeln zu spielen, genügen klischeehafte Figuren. Das ist absolut okay, ich spiele wie neulich erwähnt auch manchmal so.

Oder vielleicht möchte eine Gruppe gar keine originellen Figuren, sondern voll ins Klischee eintauchen. Auch das ist ein legitimes Anliegen. Aber meine Präferenzen sind andere.

Noch etwas gebe ich zu: Manche recht klassischen Systeme variieren wenige altbackene Klassen auf reizvolle Weise, etwa Whitehack sowie Sharp Swords & Sinister Spells. Ich denke aber, da geht noch mehr.

Zufällige Kombinationen

Nehmen wir im Vergleich eine zufällig mit Trophy Gold erstellte Spielfigur.

Ifori: Du bist ein Champion mit den Fertigkeiten Befehlen, Wildheit und Ausstrahlung. Vor deiner Flucht warst du königliche Wächterin. Du beherrschst die Fertigkeit Spurenlesen. Dein Ziel im Leben ist es, deine Forschungen über das Alte Kalduhr zu veröffentlichen.

Ifori ist letztlich eine Kriegerin, aber der kurze Absatz gibt mir jede Menge Ideen, wie ich die Figur ausgestalten kann. Er wirft Fragen auf. Wen oder was hat Ifori für die Königin gejagt? Warum ist sie nicht mehr in ihrem Dienst? Wem dient sie ihre Fähigkeiten als Champion an? Wie oft hat sie schon gewonnen, wie oft verloren und gegen wen? Wann hat sie Zeit gefunden, über das Alte Kalduhr zu forschen, wo liegt es und was hat sie herausbekommen?

Und zusätzlich gibt mir Trophy Gold drei Zauber, die Ifori (für einen Preis) beherrschen könnte, sowie drei Ausrüstungsgegenstände.

Die zufällig zusammengemischten Elemente von Trophy Gold – Vorgeschichte und Beruf, Ziel und Ausrüstung – ergeben reizvolle Kontraste, unklare Stellen, die ich füllen kann. Besonders hilfreich ist nach meinem Eindruck die zeitliche Staffelung: Nach der Vorgeschichte hat die Figur einen Beruf ergriffen. Das ist in sich schon die kürzestmögliche Erzählung. Sie lädt ein, zu erklären, warum es so kam.

Anders als Dungeon World, das mich durch Auswahlmöglichkeiten ermutigt, traditionelle Klassen spezifischer zu gestalten, bekomme ich hier gleich spezifisches Material serviert. Ich habe einen Teil der Antwort. Meine Aufgabe als Spieler ist es, die Lücken zu füllen.

Trophy Gold hat längst nicht das einzige tabellenbasierte Figurenerschaffungssystem. Ähnliche Generatoren bieten zum Beispiel Cairn und Maze Rats an.

Originelle Klassen

Andere Systeme besteigen den Berg von der entgegengesetzten Seite. Troika beispielsweise hat fest definierte Klassen. Schauen wir uns eine an:

Geplagte Affenhändlerin: Das Leben auf dem Wall ist hart. Nie ist man mehr als ein paar Meter von einem endlosen Fall entfernt. Und doch gibt es dort Dörfer, deren Bewohner essen müssen. Dafür warst du zuständig mit deinen essbaren Affen. (Die Unterscheidung dient nur Werbezwecken: Natürlich sind alle Affen essbar.) Viele Tage hast du damit verbracht, die Füße baumeln zu lassen und deiner Herde beim Toben zuzusehen. Aber dann hast du entschieden, dass das Geschäft mit Affenfleisch keine Zukunft hat. Bist du herabgestiegen oder gefallen? Egal. Was zählt, ist nur, dass du jetzt hier bist, mit ein paar elenden Affen im Gefolge.

Besitztümer: Affenknüppel, Fleischermesser, 1W6 kleine Affen (sie hören nicht auf deine Befehle, sind aber zu ängstlich und hungrig, um weit fortzugehen), Tasche mit Leckerlies für Affen

Diese Klasse ist vordefiniert wie eine in D&D, aber weit enger gefasst, hochspezifisch und wohlkomponiert, bis in die Leerstellen hinein. Ich wette, an dem Text hat ein fähiger Autor, nämlich Daniel Sell, eine Weile gefeilt, und hoffe, meine Übersetzung lässt das wenigstens durchscheinen.

Da stecken irre Ideen drin – und zugleich offenkundige Lücken. Wo steht der Wall? Wen schützt er und gegen wen? Eine Frage steht sogar direkt im Text. Wahrlich, damit könnte ich mehr anfangen als mit der Klasse der Waldläuferin. Und ehrlich gesagt, mir würde die Fantasie fehlen, aus der traditionellen Klasse "Waldläuferin" selbständig eine geplagte Affenhändlerin zu machen. Obwohl, zugegeben, denkbar wäre es. Die traditionellen Klassen sind offen genug. Das ist nur manchmal ihr Problem.

Losspielen ohne Figurenerschaffung

Ich persönlich würde also schon wegen der Figurenerschaffung lieber Troika und Trophy als White Box: Fantastic Medieval Adventure Game oder The Black Hack spielen. Aber eine Möglichkeit habe ich zuletzt gefunden, die mir klassische Klassen wieder etwas interessanter erscheinen lässt: losspielen ohne Figurenerschaffung, in Anlehnung an Graham Walmsley. Ich könnte mir ganz gut vorstellen, ohne vorherige Character Creation eine Szene zu spielen, Fragen der Leitung zu beantworten, nach und nach Aspekte meiner Figur zu schärfen. Und hinterher zu überlegen: Was ich da eben entschieden und mir ausgedacht habe, passt das eher zu einem Dieb oder einem Krieger?

Das würde die Klasse mit Leben füllen, bevor sie feststeht. Die Denkanstöße, die mich hoffentlich kreativ machen, kommen vor den Regeln. Die Spielleitung stellt mich vor Entscheidungen. Und hinterher kann ich von der Übersichtlichkeit und Vertrautheit der guten alten Klassen profitieren. Es wäre einen Versuch wert.

#osr #storytelling